Ankündigung
Die kritische Auseinandersetzung mit Strafe nimmt im Jurastudium einen verschwindend geringen Raum ein. Strafrechtstheoretische und -politische Fragen werden in Anfängervorlesungen in wenigen Minuten, in gängigen Lehrbüchern auf ein paar Seiten abgehandelt. Ein unhaltbarer Zustand, wenn man bedenkt, dass Strafe mit erheblichen Eingriffen in Freiheit und Grundrechte der BürgerInnen verbunden ist und ihre Wirkung nicht immer die erwartete ist. Mit einer strafrechtskritischen Veranstaltungsreihe wollen wir diesem Zustand Abhilfe verschaffen. In vier Veranstaltungen werden wir uns mit der Legitimation von Strafe, Willensfreiheit und Schuld, linken Alternativen für das Wirtschaftsstrafrecht sowie mit der Strafe aus praktische Perspektive auseinandersetzen.
Die Veranstaltungen sind offen für alle Interessierten. Auch Nicht-Jurastudierende sind herzlich willkommen. Die Veranstaltungsreihe wird von der Holtfort-Stiftung unterstützt.
Martin Hochhuth: Ist der Wille frei?
Mi. 20. Juni 2012 20 Uhr s.t., HS 3117
Während in anderen wissenschaftlichen Disziplinen die Idee der Willensfreiheit hoch umstritten ist, hält die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft am klassischen Schuldkonzept fest: Schuldig ist, wer sich für eine Tat entscheidet. Die Gegenmeinung, der Determinismus, sieht unsere Entscheidungen durch äußere Umstände (Genetik, Sozialisation) vorherbestimmt. Diese Ansicht hat in den letzten Jahren Unterstützung aus den Naturwissenschaften bekommen: „Neuronale Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen“ erklärt der Neurowissenschafter Wolf Singer und fordert ein Umdenken im Umgang mit Straffälligen. Welche Argumente gibt es dafür und dagegen? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Strafrecht? Diese und weitere Fragen wird Prof. Martin Hochhuth, Rechtswissenschaftler aus Freiburg, in einem Vortrag thematisieren.
Susanne Müller/Peter Asprion/Tomas Orschitt/Kerstin Oetjen: Strafrechtskritik aus der Praxis
Mi. 04. Juli 2012 19 Uhr s.t., Alte Uni, HS 2
Strafrechtspraktiker bezeichnen theoretische Strafrechtskritik mitunter gern als „Kritik aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft“, soll heißen praxisfremd. Aber ist die Kritik der Wissenschaft tatsächlich so realitätsfern? Für alle gilt gleiches Recht, aber gelten auch für alle gleiche Strafen? Welche gesetzlich vorgesehenen oder unbenannten Strafzumessungserwägungen werden vom Staatsanwalt seinem Antrag, vom Gericht seinem Urteil zugrunde gelegt? Wo sind hierbei Verfahrensverständigungen und Kronzeugenregelung zu verorten? Wie ist die Verwendung von Vertrauenspersonen zu beurteilen? Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit den Medien für die Ermittlungsbehörden und wie kann ein verantwortungsvoller Umgang mit ihnen aussehen? Wie lässt sich ein Strafrechtssystem verwirklichen, in dem Opfern und Tätern geholfen und tatsächlich Rechtsfrieden gestiftet wird? Wie beurteilt die Praxis Forderungen nach der Legalisierung von Betäubungsmitteln?
Hierüber werden vier mit unserem Strafrechtssystem auf unterschiedliche Weise befasste PraktikerInnen diskutieren: Die Vorsitzende Richterin am Landgericht (Kleine Strafkammer) Dr. Susanne Müller, der Freiburger Erste StaatsanwaltTomas Orschitt, der Bewährungshelfer Peter Asprion und die Freiburger Fachanwältin für Strafrecht Kerstin Oetjen. Moderieren wird Tina Gröbmayr, angehende Strafverteidigerin und Beirätin des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege Freiburg.
Der Workshop “Muss Strafe sein?” fällt leider aus.
Philip Rusche: Muss Strafe sein?
Sa. 07. Juli 2012 14–18 Uhr s.t., Konf I, u-asta
„Denn Strafe muss sein“ ist ein Satz, den viele wahrscheinlich noch aus ihrer Kindheit in Erinnerung haben. Was Eltern ihren Kindern einbläuen, wird Jurastudierenden (auf andere Art und Weise) im ersten Semester beigebracht. Die Frage nach dem Sinn und Zweck staatlichen Strafens wird hingegen selten gestellt. Dabei gab und gibt es wissenschaftliche und politische Ansätze, die unter dem Stichwort Abolutionismus die restlose Abschaffung von Justizvollzugsanstalten bzw. noch weitergehend von staatlichem Strafen fordern. Was steckt dahinter? Und was sind die Alternativen? Philip Rusche, langjähriger Forum-Recht-Redakteur und Rechtsanwalt aus Berlin, wird einen etwa vierstündigen Workshop zum Thema leiten.
Roland Hefendehl: Vielleicht hat die Linke doch recht…
und was dies für das Wirtschaftsstrafrecht bedeuten würde
Do. 19. Juli 2012 20 Uhr s.t., Alte Uni, HS 2
Wenn Frank Schirrmacher in der FAZ darüber zu grübeln beginnt, ob die Linke nicht vielleicht doch recht habe, scheint die Finanzkrise auch insoweit Dramatisches bewirkt zu haben. Und wenn es auch noch stimmen würde: Was hätte dies für eine Auswirkung auf das Wirtschaftsstrafrecht?
Die Antwort auf eine solche Frage erscheint dabei keinesfalls ausgemacht: Mal hat man den Eindruck, als solle das Strafrecht alles richten, mal scheinen die Warnungen vor dem Einsatz eines derartigen strafrechtlichen Herrschaftsinstrumentes überhand zu gewinnen. Populär wäre jedenfalls gerade in heutiger Zeit, da der Finanzkapitalismus mit allen Mitteln zu bändigen ist, die Forderung nach einem Stopp des Ausbaus des Wirtschaftsstrafrechts nicht.