Pressemitteilung vom 24.4.2018
Der Arbeitskreis kritischer Jurist_Innen (akj) Freiburg unterstützt die Klage eines Betroffenen, der im vergangenen Jahr im Rahmen einer großangelegten Polizeikontrolle Opfer einer rechtswidrigen Identitätsfeststellung und Durchsuchung seiner Sachen in Freiburg wurde.
Im April 2017 hatte die Freiburger Polizei in Zusammenarbeit mit der Freiburger Verkehrs AG (VAG) Personenkontrollen an einigen ausgewählten Straßenbahn-Haltestellen im Freiburger Stadtgebietdurchgeführt. Diese Praxis wurde bereits bei einer vergleichbaren Aktion der Polizei im Vorjahr von Seiten des akj als rechtswidrig kritisiert (“Dürfen die das? – PM zu Großkontrolle in Freiburger Straßenbahnen” vom 12. Juni 2016).
“Die Polizei stützt sich dabei auf eine Norm des baden-württembergischen Polizeigesetzes, gegen deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz erhebliche Bedenken bestehen”, so Rechtsanwalt Thorsten Deppner, der den Kläger in dieser Sache vertritt.
Nach eigenen Angaben hat die Polizei Kontrollstellen zum Zwecke der Fahndung nach Straftätern eingerichtet. Gestützt werden diese Maßnahmen auf § 26 Abs. 1 Nr. 4 des baden-württembergischen Polizeigesetzes. Diese Norm selbst ist allerdings sowohl formell, als auch materiell verfassungswidrig. Die Gründe für diese Verfassungswidrigkeit liegen in der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzordnung der Gesetzgebung in Deutschland, nach der – je nach Materie – entweder die Bundesländer oder der Bund Gesetze erlassen dürfen. Für Gesetze, die präventives Polizeihandeln regeln, sind grundsätzlich die Länder zuständig. Dagegen ist für Gesetze, die die Strafverfolgung regeln, der Bund zuständig.
Die Landesnorm des § 26 Abs. 1 Nr. 4 PolG-BW ermöglicht die Einrichtung von Kontrollstellen zum Zweck der Fahndung nach Straftätern und regelt damit eine Maßnahme der Strafverfolgung. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber mit § 111 der Strafprozessordnung eben diese Maßnahme bereits abschließend geregelt. § 26 Abs. 1 Nr. 4 PolG-BW hätte daher nicht vom Landesgesetzgeber erlassen werden dürfen.
Die Norm ist außerdem auch aufgrund ihres weiten Anwendungsbereichs unverhältnismäßig und genügt verfassungsrechtlichen Ansprüchen wie dem Bestimmtheitsgebot nicht. Die Einrichtung von Kontrollstellen wird praktisch ohne jede Voraussetzung erlaubt. Nach dem Wortlaut der Norm ist nicht einmal eine abstrakte Gefahrenlage erforderlich.
“Wir haben daher beantragt, diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, damit dieses über die Verfassungsmäßgkeit des Gesetzes entscheidet. Die Chancen, dass die Norm für nichtig erklärt wird, stehen gut”, gibt sich Rechtsanwalt Thorsten Deppner zuversichtlich.
Der akj Freiburg hält ein rechtliches Vorgehen gegen die Polizeikontrollen mit Blick auf die politische Dimension für notwendig.
“Diese Kontrollaktionen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern reihen sich in eine zunehmend repressive Freiburger Stadtpolitik ein”, so Ernesto Aschka, Mitglied des akj Freiburg.
Mit der verstärkten Durchführung verdachtsunabhängiger Kontrollen an vorgeblichen “Kriminalitätsschwerpunkten”, wie dem Stühlinger Kirchplatz, oder der Einführung eines Kommunalen Vollzugsdienstes im Oktober vergangenen Jahres, nehmen Überwachung und Verdrängung im Freiburger Stadtgebiet immer weiter zu. Vor diesem Hintergrund sind die polizeilichen Kontrollstellen im VAG-Netz als Teil einer insgesamt zunehmend repressiven Stadtpolitik einzuordnen.
“Unter dem Deckmantel der Sicherheit wird hier diskriminierenden Praxen wie Racial Profiling oder der Verdrängung von Obdachlosen Vorschub geleistet. Dem gilt es auf politischer und juristischer Ebene entgegenzutreten”, erklärt Elisabeth Albrecht vom akj Freiburg.
Auch angesichts der aktuellen Diskussionen um die Verschärfung des bayerischen Polizeigesetzes hält es der akj für notwendig, ein Zeichen gegen drohende ausufernde Polizeibefugnisse zu setzen. Gerade sollen dort die Anforderungen an polizeiliche Eingriffe drastisch reduziert werden, sodass die Polizei nunmehr ohne konkreten Verdacht mit Telefonüberwachung und anderen Bespitzelungen gegen Personen vorgehen kann. All diesen Maßnahmen und Gesetzesnovellen scheint ein Missverständnis zugrunde zu liegen: Nicht die Bürger_Innen haben sich ständig und überall vor der Polizei zu rechtfertigen, sondern die Polizei hat sich vor Bürger_Innen für jeden Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Alles andere liefe rechtsstaatlichen und freiheitlichen Grundsätzen diametral zuwider.
Der AKJ lehnt anlasslose Identitätsfeststellungen grundsätzlich ab.
“Sie greifen erheblich in Grundrechte ein, dienen der Durchsetzung hegemonialer Ordungsvorstellungen und führen stets zu bewusster oder unbewusster Diskriminierung durch Polizeibeamt_Innen”, so Elisabeth Albrecht abschließend.
Interview von Radio Dreyeckland mit dem Anwalt Thorsten Deppner: