akj-Demobeoachtung bei Freiburger „Bildungsstreik“-Demonstration
Im Rahmen bundesweiter Aktionstage fand am 17. Juni 2009 in der Freiburger Innenstadt eine Großdemonstration statt, organisiert von einem Bündnis aus SchülerInnen- und Studierendenvertretungen, Gewerkschaften, Eltern, linken Gruppen und Einzelpersonen. Der Demonstrationszug unter dem Motto „Gemeinsam für freie Bildung und selbstbestimmtes Lernen“ wurde auf 3000-5000 Personen geschätzt, darunter augenfällig viele Schülerinnen und Schüler. Auf kurzfristige Anfrage der Veranstalter war der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen (akj) Freiburg mit einem Demonstrationsbeobachtungsteam vor Ort; die Dokumentation der angemeldeten Versammlung war ohne Einschränkungen möglich.
Die nach einer Auftaktkundgebung am Platz der Alten Synagoge über den Fahnenbergplatz, das Siegesdenkmal und den Bertoldsbrunnen zurück zum Platz der Alten Synagoge führende Demonstration verlief überaus friedlich. Die Polizei bestand zwar auf der Durchsetzung einiger fragwürdiger städtischer Auflagen, die unter anderem die Route betrafen; im Vergleich zu Demonstrationen in der jüngeren Vergangenheit fiel aber auf, dass die Sicherheitskräfte – obgleich auf durchaus einschüchternde Weise gekleidet und ausgerüstet – den Zug an der Spitze und den Seiten eher locker begleiteten. Insgesamt kann also vom Willen zu deeskalativem polizeilichen Verhalten ausgegangen werden. Dennoch wurden uns zwei Festnahmen bekannt; im einen Fall soll die Polizei nach Angaben von Augenzeugen einen Mann festgenommen haben, weil dessen Begleiter die Beamten gefilmt habe. Nach Aussage des Einsatzleiters Hochuli wurden diese Festnahmen mit Straftaten (Beleidigungen) und dem Wurf von leeren Flaschen begründet. Zu weiteren Details konnte Hochuli während der Demonstration keine Stellung nehmen. Die einzigen „Wurfgeschosse“, die dem Beobachtungsteam zu Augen kamen, waren neben einigen Socken, Brotkrumen und Papierflieger einzelne leere Plastikflaschen.
Vereinzelt konnten wir das Abfotografieren und Filmen der Demonstration durch die Polizei beobachten.
Am Bertoldsbrunnen kam es gegen 12:30 Uhr bei der Durchsetzung der städtischen Auflage, dort keine Kundgebung abzuhalten zum einzigen ansatzweise konfrontativen Moment. Die Polizei stoppte den Demonstrationszug knapp vor den Straßenbahnschienen, wobei es zu vereinzelten Rangeleien kam. Sowohl PolizeibeamtInnen als auch VersammlungsteilnehmerInnen reagierten unter der positiven Mitwirkung von OrdnerInnen und dem Antikonfliktteam der Polizei besonnen und zurückhaltend. Zu diesem Zeitpunkt und bis zum Abschluss der Demonstration am Platz der alten Synagoge um 13:20 Uhr war der Straßenbahnverkehr am Bertoldsbrunnen auch in Ost-West-Richtung unterbrochen.
Aus rechtlicher Sicht problematisch waren aus unserer Sicht die vom Amt für öffentliche Ordnung als Versammlungsbehörde erlassenen Auflagen. Durch das versehentliche Versenden eines internen Dokuments bestätigte sich unser Verdacht, dass die Verantwortlichen dort mit einer Liste vorgefertigter Auflagen arbeiten, die sie mit geringfügigen Modifikationen allgemein verwenden. Nach Artikel 8 des Grundgesetzes sind Versammlungen allerdings prinzipiell auflagenfrei; Beschränkungen der grundrechtlichen Demonstrationsrechts, das insbesondere das Recht umfasst, selbst über Ort, Zeitpunkt und Art einer Versammlung zu bestimmen, dürfen nur im Einzelfall erfolgen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass andernfalls die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wäre. Standard-Auflagen, die pauschal gegenüber den unterschiedlichsten Versammlungen ergehen, sind bereits aus diesem Grund rechtswidrig.
Inhaltlich besonders fragwürdig waren drei der insgesamt zwölf Auflagen, die dem Anmelder gegenüber weniger als 24 Stunden vor Versammlungsbeginn (!) bekanntgegeben wurden: Die Demonstration sollte nicht durch das Martinstor und die den Uni-Campus durchkreuzende Rempartstraße verlaufen, eine Kundgebung am Bertoldsbrunnen wurde untersagt. Weiterhin sollten neben den Ordnern nur dem Veranstalter „bekannte und zuverlässige Personen an [der] Spitze des Aufzuges“ laufen; der Einsatz von Lautsprechern wurde auf die Kundgebungen beschränkt, unterwegs sollten allein „Ordnungsdurchsagen“ erfolgen, während Musik generell nicht abgespielt werden dürfte. Zur Begründung der Routenänderung führte das Amt allen Ernstes die Unerfahrenheit des Versammlungsleiters sowie die Behauptung an, der Weg über die Kaiser-Joseph-Straße bis zur Rempartstraße sei zu gefährlich, „da sich das Martinstor bei früheren vergleichbaren Demonstrationen als ‘Flaschenhals’ erwiesen hat, der dafür sorgt, dass es zu erheblichem Gedränge im Demonstrationszug und damit verbunden zu Panikreaktionen bei Teilen der Versammlungsteilnehmern kommt“. Die eigentümliche (und sehr unbestimmt formulierte) Vorgabe bezüglich der Eigenschaften der Personen an der „Spitze des Aufzuges“ wurde allein damit gerechtfertigt, dass bei einer Demonstration am 26. Januar 2009 „gewaltgeneigte Personen nach 2/3 des Aufzugsweges die Spitzenposition hinter dem Führungstransparent übernommen“ hätten, um dann eine nicht vereinbarte Route einzuschlagen. Dabei vermochte die Behörde keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für einen Zusammenhang der beiden Versammlungen darzulegen.
Auch die Durchsetzung der Auflage des Kundgebungsverbots am Bertoldsbrunnen konnte ihr Ziel den Straßenbahnverkehr aufrechtzuerhalten nicht erreichen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die dadurch verursachten Spannungen unnötig und kontraproduktiv. Daneben bestehen erhebliche Zweifel an der pauschalen Bevorzugung des Personennahverkehrs vor der grundrechtlich geschützten Demonstrationsfreiheit. Das Verwaltungsgericht nahm zu diesem Punkt in seinem Beschluss leider keine Stellung.
Die Reglementierung der Lautsprecherdurchsagen erfolgte ohne jede Angabe von Gründen. Diese war dann auch die einzige Auflage, die das Verwaltungsgericht Freiburg (VG) auf Antrag des Veranstalters am Morgen des 17. Juni im einstweiligen Rechtsschutzverfahren außer Kraft setzte. Im Übrigen verweigerte das VG den Schutz der Versammlungsfreiheit: Die polizeiliche Gefahrenprognose könne „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht verantwortlich in Frage gestellt werden“ – der überdeutliche Offenbarungseid einer Justiz, die den Sicherheitsbehörden offenbar jede Maßnahme erlauben will, wenn sie nur spät genug ergeht. Unverdienter Weise blieb der Stadt Freiburg dadurch die offizielle Rüge erspart, dass ihre Auflagenpraxis rechtswidrig ist und die Versammlungsfreiheit nicht gebührend respektiert.
Kritisch zu beurteilen war auch diesmal der, wenn auch nur vereinzelte, Einsatz von Kameras auf Seiten der Polizei. Erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die zur Rechtfertigung dieses Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Versammlungsgesetz erforderlich sind, waren nicht zu beobachten.
Dass es angesichts der Freiburger Polizeipraxis der letzten Jahre schon als relative Milde erscheinen muss, wenn eine Demonstration nicht von Einsatzkräften in mehreren dichten Reihen umschlossen, sondern „nur“ an der Spitze und den Seiten lose begleitet wird, macht uns betroffen. Gerade angesichts des Teilnehmerfeldes der Bildungsdemonstration vom 17. Juni 2009, die zu einem Gutteil aus Schülerinnen und Schülern bestand, ist aber nicht nachvollziehbar, dass die Polizei meinte, überhaupt eine derartige Präsenz zeigen zu müssen. Ein liberales, grundrechtsfreundliches Vorgehen hätte darin bestanden, sich polizeilicherseits auf die Regelung des Verkehrs zu beschränken. Der friedliche Verlauf der Demonstration belegt in unseren Augen, dass die von Polizei und Stadt gezeichneten Gefahrenszenarien krass überzeichnet waren.
akj Freiburg, 18. Juni 2009