Räumung der Wagenburg Kommando Rhino im Vauban
Die Polizei traf um 5:26 Uhr an den brennenden Barrikaden auf der Kreuzung Merzhauser Straße/ Wiesentalstraße ein. Bereits kurz darauf zogen sich die Protestierenden von der Merzhauser Straße beim M1-Gelände hinter die eigenen Barrikaden in der Vaubanallee zurück.
Die AbrissgegnerInnen hatten drei Barrikaden rund um die Wagenburg errichtet: Zwei davon befanden sich in der Vaubanallee, eine weitere auf den Gleisen an der Straßenbahn-Haltestelle. Die Anwesenden befanden sich bei Musik im Bereich des Platzes und verhielten sich friedlich. Per Megaphon wurde mehrfach zu friedlichen Protesten und zivilem Ungehorsam aufgerufen.
Um 5:39 Uhr traf die Polizei am M1-Gelände ein. Sie kündigte per Lautsprecherdurchsage die Räumung an und forderte die Anwesenden auf, den Platz direkt vor dem Gelände zu verlassen. Nachdem dies nicht geschah, wurde begonnen, die nord-westliche Barrikade zu entfernen. Nachdem auch die Barrikade auf den Gleisen abgebaut war, begannen PolizistInnen, die Verschalung der Wagenburg aufzubrechen. Unterstützt wurden sie dabei nach einigen Minuten von einem Baggerfahrzeug. Anschließend drangen Mitglieder einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit auf das Gelände vor. Es wurden keine Personen angetroffen.
Im Laufe der weiteren Räumung kam es vermehrt zu Rangeleien zwischen den beiden Gruppen. In der Mehrheit verliefen diese ohne größere Gewaltanwendungen. Gegen 6 Uhr wurden einige der noch Anwesenden in der Vaubanallee eingekesselt, wobei sich dies schleichend, d.h. ohne Ansage seitens der Polizei und sukzessive hinsichtlich der Durchsetzung vollzog. Somit wurden auch Nichtbeteiligte umstellt. Den Personen war es nicht möglich, den Bereich wieder zu verlassen. Ebenfalls hatten PressevertreterInnen sowie VertreterInnen des Runden Tisches zeitweise Probleme, aus der Umschließung zu gelangen. Um 6.06 Uhr kam es im Rahmen der Kesselung zu einem schwereren Zwischenfall. Ein junger Mann versuchte aus der lockeren und deutlich lückenhaften Umschließung der Polizei zu gelangen. Bei dem Versuch wurde ihm von einem Beamten außerhalb des Kessels mit dem Ende eines ca. 1,40 m langen Holzstabs – ähnlich einem Besenstil – unvermittelt in den Unterleib gestoßen. Ein weiterer Polizist warf den jungen Mann sodann zu Boden und hielt ihn dort fest. Nachdem sich sofort eine Gruppe von FotografInnen um das Szenario sammelte, wurde dem Mann von der Polizei beim Aufstehen geholfen und man ließ ihn ohne Weiteres gehen. Hieraus ergibt sich, dass die Polizei offensichtlich kein Feststellungsinteresse an der Person hatte. Daher stellt sich die Frage, ob ein Versuch, einen optisch lockeren Kessel zu verlassen, den Einsatz einer hölzernen Stange mit einem hohen Verletzungsrisiko rechtfertigt. Überhaupt ist zu hinterfragen, weshalb zwei Beamte mit diesen Holzstangen ausgestattet waren.
Einige Minuten später kam es zu einem größeren Konflikt, nachdem eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit auf das Gelände des Wohnprojekts „SuSI“ eindrang, wo sich ein Großteil der Demonstrierenden aufhielt. Anlass und Grund für dieses Vorgehen der Polizei konnte von den DemonstrationsbeobachterInnen selbst nicht erkannt werden.
Dieses Vorgehen der Polizei sorgte über etwa fünf Minuten für Rangeleien und Aufregung. Es kam zu vereinzelten Handgreiflichkeiten mit Schlagstockeinsatz. Als die Protestierenden gewaltsam in Richtung Vaubanallee zurückgedrängt wurden bestand Verletzungsgefahr, da eine geschlossene Schranke den Weg versperrte. Anschließend kehrte wieder Ruhe ein.
In diesem Zusammenhang wurde um 6:20 Uhr eine Person wegen des Vorwurfs der Beleidigung in einen geschlossenen Unterstand für Müllkontainer auf dem SuSI-Gelände geführt.
Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich, nachdem das M1-Gelände bereits komplett mit Absperrgittern der Polizei umstellt war. Um 7.57 Uhr betrat ein Mann den Sperrbereich in der Vaubanallee. Er wurde sogleich von einem Beamten im Sperrbereich Richtung Absperrgitter zurückgestoßen. Dieses Zurückdrängen dauerte auch noch an, nachdem der Mann dem Beamten seinen gültigen Presseausweis zeigte. Der Pressevertreter berief sich lautstark auf seine Zugangsrechte. Daraufhin wurde er von etwa acht Polizisten an die Absperrgitter gedrängt und dort umringt. An dieser Stelle ist einmal mehr auf das fehlende Engagement des Antikonfliktteams hinzuweisen, da dieses in der konkreten Situation hinter der Umringung stand und gerade nicht vermittelnd in den Konflikt eingriff.
Nach einer plötzlichen Bewegung des Pressevertreters entlang des Gitters nach rechts, wurde er unmittelbar am Hals zu Boden gedrückt. Daraufhin kam es hinter den direkt angrenzenden Absperrgittern zu Empörungsrufen und Handgriffen in den Sperrbereich hinein. Ohne Vorwarnung und ohne Absprache mit ihren KollegInnen sprühte eine Beamtin aus einer hinteren Reihe ein Reizspray auf die am Zaun stehenden Menschen. Hiervon waren auch völlig Unbeteiligte betroffen. Fraglich ist, ob das Sprühen eines Reizgases auf eine kaum zu überblickende Gruppe von Menschen durch die Lage gerechtfertigt war.
Objektiv bestand zu keiner Zeit eine Gefährdung der Einsatzkräfte. Ebenso wenig bestand die Gefahr des Durchbruchs der Demonstrierenden auf das abgesperrte Gelände. Eine Entspannung des konkreten Konflikts hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade auch ohne Reizspray erreicht werden können. Daher muss die Reaktion der Beamtin als nicht zu rechtfertigende Überreaktion zu betrachten sein.
Der Pressevertreter wurde in Gewahrsam genommen, sein verlorener Schuh durch einen Beamten über den Platz geschossen, ohne ihn zurückzugeben.
Eine weitere Frage wirft sich hier hinsichtlich der Verweigerung des Zugangs des Pressevertreters auf das Gelände auf. So ist festzuhalten, dass sich zur fraglichen Zeit mehrere Presseteams auf dem Sperrgebiet befanden und sich frei bewegen konnten. Auf unsere Nachfrage teilte die Polizei mit, dass der Mann zwar einen gültigen Presseausweis gehabt habe, dass man ihm jedoch wegen seines Aussehens den Zugang verweigert habe. Sollte dies tatsächlich die gesamte Rechtfertigung sein, so läge hier eine klarer Verletzung der Pressefreiheit durch die Polizei vor.
Im Rahmen der Versammlung kam es zu einem massiven Kameraeinsatz durch die Einsatzkräfte. Die Rechtfertigungsgrenzen einer solchen Pauschalüberwachung von Versammlungen durch die Polizei sind eng und wurden in den letzten Jahren immer wieder durch Gerichtsurteile festgestellt. Rechtsgrundlage für Videoüberwachungen bei Versammlungen ist § 12a I des Versammlungsgesetzes. Hiernach sind Bild und Tonaufnahmen erlaubt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von den TeilnehmerInnen der Versammlung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine erhebliche Gefahr liegt nur vor, wenn Rechtsgüter von besonderen Wert, insbesondere Leib und Leben, bedroht sind. Zudem sind bloße Vermutungen ausgeschlossen, da diese keine tatsächlichen Anhaltspunkte sind.
Unter diesen gesetzlichen Voraussetzungen ist der Kameraeinsatz bei der Räumung des Geländes M 1 scharf zu kritisieren. So wurde der gesamte untere Platz über längere Zeit hinweg im 180°-Winkel abgefilmt. Auf die Versammlung waren durchweg auf Einsatzfahrzeuge montierte Kameras gerichtet. Der Kameraeinsatz erfolgte pauschal und unabhängig von der Gefahrenlage. Konkret betroffen von den Aufzeichnungen waren nicht nur DemonstrantInnen, sondern auch Kinder, Jugendliche und BürgerInnen, die sich die Räumung aus Interesse ansehen wollten. Damit hat die Polizei auch in dieser Hinsicht über das zu rechtfertigende Maß in die Rechte der BürgerInnen eingegriffen.