Die Rede zum Nachhören:
Wir dokumentieren unsere Rede bei der Blockupy Fahrraddemo am 16. Mai 2014 vor dem Polizeirevier Freiburg Nord.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Passantinnen und Passanten,
Liebe Polizistinnen und Polizisten,
der diesjährige Blockupy-Protest richtet sich in erster Linie gegen die Politik von EU und Troika. Wir stehen vor dem Freiburger Polizeirevier Nord. Der eine oder die andere wird sich fragen, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Und es stimmt: Wirtschaftskrise, Austeritätspolitik und die damit verbundene Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sind nicht auf den Mist von Revierleiter Harry Hochuli und seinen Kolleginnen und Kollegen gewachsen. Gleichwohl spielen die Sicherheitsbehörden und Gerichte eine wichtige Funktion in den autoritären Krisenbewältigungsstrategien der Herrschenden. Während die Sparauflagen von EU-Kommission, EZB und IWF viele Menschen in Armut und Verzweiflung treiben, sieht sich der Protest dagegen zunehmend staatlicher Repression ausgesetzt. Nicht nur in Griechenland und Spanien, wo der Staat die Massenproteste teilweise nur mit Mühe unter Kontrolle halten kann, auch in Frankfurt und Freiburg werden Proteste unterdrückt und Grundrechte außer Kraft gesetzt.
Wir, der Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen, sehen mit Besorgnis auf diese Entwicklungen. Als eine Gruppe von überwiegend Jura-Studierenden setzen wir uns kritisch mit dem Recht und seinen gesellschaftlichen und politischen Bezügen auseinander. Das Recht sehen wir als Herrschaftsinstrument an, das aber auch als Mittel der Emanzipation gegen die Herrschenden genutzt werden kann. Redet man über das Recht als Herrschaftsinstrument, gibt es viele alltägliche Beispiele. Seien es Zwangsräumungen von zahlungsunfähigen Mieterinnen und Mietern, Abschiebungen oder der Zwang, sich einem von zwei möglichen Geschlechtern zuzuordnen: Immer wieder dient das Recht der Legitimierung und Verschleierung von Machtstrukturen und Diskriminierung. Wir wollen uns heute auf die Repression konzentrieren, der soziale Bewegungen in Deutschland ausgesetzt sind, insbesondere die Blockupy-Bewegung. Das Freiburger Polizeirevier Nord steht symbolisch für diese Repression, schließlich werden von hier in der Regel die Polizeiaktionen koordiniert, mit denen Demonstrationen und andere Proteste in Freiburg zu kämpfen haben.
Beginnen möchten wir jedoch mit Frankfurt, dem Zentrum der Blockupy-Proteste. Der Umgang der Stadt Frankfurt mit den Protesten in den letzten Jahren ist nichts anderes als der offene Verfassungsbruch: Schon im Vorfeld wurden vermeintliche Gefährderinnen und Gefährder kontaktiert, um sie davon abzuhalten, ihr in der Verfassung verbrieftes Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Bei der Anreise wurden Aktivistinnen und Aktivisten angehalten und kurzerhand festgenommen – eine Praxis, die später vom Amtsgericht Gießen für rechtswidrig erklärt wurde. Versammlungen wurden verboten und selbst die angemeldete und genehmigte Demonstration am 1. Juni 2013 wurde nach wenigen Metern gestoppt. Die Demonstrantinnen und Demonstranten wurden über mehrere Stunden von der Polizei eingekesselt und damit ihrer Freiheit beraubt. Selbst Journalistinnen und Journalisten sowie Sanitäterinnen und Sanitäter wurden an ihrer Arbeit gehindert.
So offensichtlich der Rechtsbruch auch ist: Die Frankfurter Gerichte sahen sich offenbar nicht gezwungen, dem Treiben der Polizei einen Riegel vorzuschieben. Das Frankfurter Amtsgericht, das eigentlich dafür zuständig ist, Freiheitsentziehungen sofort auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, leugnete lapidar deren Existenz. Mehrere Anträge von eingekesselten Demonstrierenden wurden nicht beachtet.
Auch in der Nachbereitung scheinen sich die Gerichte blind auf die Darstellungen der Polizei zu verlassen. In einer Entscheidung vom 10. März räumt das Verwaltungsgericht Frankfurt der Klage von Demonstrierenden keine Erfolgsaussichten ein. Dabei stützt es sich auf gefundene Sonnenbrillen, Tücher, Schirme und Bücher, die von der Polizei als sogenannte Passivbewaffnung gewertet wurden.
Werfen wir einen Blick auf Freiburg und die hiesigen Polizeibehörden. Auch hier werden mitunter massiv Grundrechte verletzt. Jüngstes Beispiel: Der erste Mai im Grün.
Seit vielen Jahren findet dort ein selbstorganisiertes Straßenfest statt. Es wird getanzt und getrunken, musiziert und gespielt. Unkommerziell und – wie das bei selbstorganisierten Straßenfesten nun mal ist – ohne Anmeldung und „Verantwortliche“ im Sinne des Straßenrechts. Letztlich geht es – wie bei Blockupy oder den Platzbesetzungen in Südeuropa und Nordafrika – um die Aneignung des öffentlichen Raums, was dem Amt für öffentliche Ordnung offenbar ein Dorn im Auge war. Wie schon in den letzten Jahren erließ es eine Allgemeinverfügung. Diese liest sich wie eine Spaß-Verbots-Verordnung: Musik: verboten. Ausschank alkoholischer Getränke: verboten, Biertischgarnituren: verboten, Straßenspiele: verboten. Jonglage: ebenfalls verboten.
Im Netz erschienen Aufrufe, sich das Fest nicht nehmen zu lassen, und beim Fest selbst wurde durch das Rufen von Parolen immer wieder Kritik am Ordnungsamt geübt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das diesjährige Straßenfest auch eine Protestveranstaltung gegen die Verbotspolitik der Stadt werden würde. Was die Polizei jedoch nicht daran hinderte, das Feierverbot mit aller Gewalt durchzusetzen. Das Viertel wurde in eine Art Belagerungszustand versetzt, Straßen wurden gesperrt, Kreuzungen geräumt, Feiernde festgenommen. Den Instrumenten der Trommelgruppe Sambasta und dem Lautsprecherwagen der revolutionären Maidemonstration drohte zwischenzeitlich die Beschlagnahme.
Man muss kein Polizeirechtsexperte sein, um zu erkennen, dass dieses Vorgehen rechtswidrig ist. Selbst wenn man den engen Versammlungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts folgt, nach dem eine Versammlung auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein muss, stand das Straßenfest – oder zumindest Teile davon – unzweifelhaft unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit. Und diese Versammlungsfreiheit ist ein – Zitat Bundesverfassungsgericht – „unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens“. Ob in dieses Grundrecht eingegriffen werden darf, um ein heiteres Straßenfest von Punkt A nach Punkt B zu verlagern? Wir glauben nicht und empfehlen Herrn Hochuli den Besuch der Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger. Dienstags, 14 bis 16 Uhr, Hörsaal 1015. Thema: Grundrechte.
Die genannten Beispiele zeigen, dass der Polizei oft kein Grund zu blöd ist, sozialen Bewegungen Steine in den Weg zu legen und sie dabei nicht selten gegen geltendes Recht verstößt. Die Argumentationsmuster ähneln dabei teilweise jenen, mit denen EU und IWF ihre Sparauflagen rechtfertigen. Während die Troika unter Verweis auf die Wirtschaftskrise soziale Menschenrechte suspendieren will, nehmen Sicherheitsbehörden soziale Proteste zum Anlass, bürgerlich-politische Rechte außer Kraft zu setzen. Während sich die Herrschenden also sonst gerne hinter dem Recht verstecken, wollen sie sich jetzt – im vermeintlichen Ausnahmezustand – der herrschaftseinschränkenden Funktion des Rechts entledigen. Juristische Auseinandersetzungen können ein wirksames Mittel sein, dagegen vorzugehen, reichen aber nie aus. Was es braucht, sind breite soziale Bewegungen, die soziale wie politische Rechte erkämpfen, verteidigen und wahrnehmen.
Dankeschön.