akj Freiburg rechnet mit Freispruch für Piusgegner
Am 12. Oktober um 8 Uhr findet vor dem Freiburger Amtsgericht (Holzmarkt 2, Sitzungssaal V) ein Verfahren gegen einen Freiburger Antifaschisten statt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, sich an einer Sitzblockade gegen die Demonstration der Piusbruderschaft am 10. April 2015 beteiligt zu haben. Die Freiburger Staatsanwaltschaft sieht in der Sitzblockade laut Anklageschrift eine „grobe Störung“ der Piusdemonstration, durch die der Straftatbestand der Versammlungssprengung gemäß § 21 Versammlungsgesetz (VersG) erfüllt sei. Der Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen (akj) rechnet hingegen nach umfassender rechtlicher Würdigung mit einem Freispruch.
§ 21 VersG verwirklicht, „wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht.“ Jedoch kann die Straftat nur von solchen Personen begangen werden, deren Handeln nicht selbst vom höherrangigen Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützt ist. Die Sitzblockade gegen den Piusaufmarsch stellte jedoch ihrerseits eine Versammlung dar.
Unter einer Versammlung wird eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung verstanden (BVerfG NJW 2002, 1031). Unzweifelhaft sind auch Gegendemonstrationen von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. Dies gilt freilich auch dann, wenn die Versammlung – wie in diesem Fall – spontan, also ohne Anmeldung durchgeführt wird (vgl. BVerfG NJW 1985, 2395, 2397 ff.). Ebenso ist der Schutz unabhängig von der gewählten Versammlungsform. Auch Formen des zivilen Ungehorsams, wie Sitzblockaden, sind grundsätzlich vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit umfasst. Eine Ausnahme wird nach ständiger Rechtsprechung nur für sogenannte „Verhinderungsblockaden“ gemacht, die einzig auf die Verhinderung einer anderen Versammlung abzielen. Entscheidend für eine solche Einordnung ist, dass die öffentlichen Meinungsbildung derart in den Hintergrund tritt, dass es sich um eine reine Verhinderungsblockade handelt. Von Art. 8 Abs. 1 GG umfasst sind hingegen auch solche Blockadeaktionen, bei denen die Blockade gerade darauf abzielt, im „Nahziel“ die Durchführung bestimmter Handlungen zu verhindern, wenn damit zugleich bezweckt wird, über den Umweg der öffentlichen Meinungsbildung die Durchsetzung bestimmter Forderungen zu erreichen (Rusteberg NJW 2011, 2999, 3001). Derartige Blockaden stellen, trotz des kurzfristig erreichbaren Erfolgs, eben keine reinen Verhinderungsblockaden dar.
Den Teilnehmer_innen der Sitzblockade ging es hier vordergründig um eine Kritik an der homophoben Piusbruderschaft, die Frauen das Recht auf Selbstbestimmung abspricht und ein generelles Abtreibungsverbot fordert. Dieses Anliegen wurde durch Transparente, Sprechchöre, Flyer usw. nach außen kundgetan. Die Blockade zielte darauf ab, die Durchführung der Piusdemonstration – gewissermaßen als „Nahziel“ – zu verhindern und zugleich die genannten Anliegen im Wege der öffentlichen Meinungsbildung vorzutragen. Die Sitzblockade der Piusdemonstration war damit keine reine Verhinderungsblockade und somit von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt.
Der Schutz der Versammlungsfreiheit endet erst mit Auflösung der Versammlung. Die Gegendemonstration gegen den Piusaufmarsch wurde von der Polizei gem. § 15 Abs. 1, 3 VersG formell ordnungsgemäß aufgelöst. Diese Auflösung muss jedoch auch materiell rechtmäßig gewesen sein, erst recht, soweit es um die strafrechtliche Beurteilung ex post geht. Bereits daran muss eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund § 21 VersG hier scheitern. Denn für eine Auflösung nach § 15 Abs. 3 VersG ist es – entgegen des Gesetzeswortlauts – nicht ausreichend, dass die Versammlung nicht angemeldet wurde, da auch Spontanversammlungen von Art. 8 GG geschützt sind (BVerfG NJW 1985, 2395, 2398). Vielmehr darf eine Auflösung nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen. Hier kommt allenfalls eine Gefährdung der Versammlungsfreiheit der Piusbruderschaft in Betracht. Zu deren Schutz war die Auflösung der Gegendemonstration zumindest unverhältnismäßig. Denn blockiert wurde lediglich der mittlere Fahrstreifen des Martinstors, nicht jedoch die Bereiche vor dem Schnellrestaurant „McDonalds“ und dem „Kolbenkaffee“. Eine Umleitung wäre zweifelsohne möglich gewesen und hätte keiner Änderung der Aufzugstrecke bedurft. Die Auflösung der Gegendemonstration war also rechtswidrig.
Da die Sitzblockade bis zuletzt von Art. 8 GG geschützt war, muss eine Strafbarkeit der Teilnehmer_innen nach § 21 VersG von vornherein scheitern.
Zudem wäre, selbst unter der Annahme, dass es sich bei der Gegendemonstration um keine Versammlung handelte, der Tatbestand des § 21 VersG nicht erfüllt. Denn dafür müsste nachgewiesen sein, dass die vermeintlichen Blockierer_innen Gewalttätigkeiten vorgenommen oder eine grobe Störung des Piusaufmarschs verursacht haben.
Die Freiburger Staatsanwaltschaft versucht in der Anklage gar nicht erst, die friedliche Blockade als Gewalttätigkeit einzuordnen, sondern setzt alles auf den Begriff der „groben Störung“. Hätte sie sich genauer mit dem Tatbestand auseinandergesetzt, so hätte klar sein müssen: Die hohe Hürde, die der Begriff der „Gewalttätigkeit“ statuiert, darf nicht durch einen Rückgriff auf die Tathandlung der „groben Störung“ unterlaufen werden. Um die Gleichwertigkeit der beiden Tatvarianten sicherzustellen, setzt eine solche Handlung vielmehr voraus, dass sie von der Intensität und Gefährlichkeit her der ersten Variante, also der Androhung oder Begehung von Gewalttätigkeiten, entsprechen muss.
Unter Gewalttätigkeit wird ein aggressives, gegen den Körper eines anderen Menschen oder die Substanz einer fremden Sache gerichtetes Tun von einiger Erheblichkeit und unter Einsatz physischer Kraft verstanden (BGH NJW 1966, 555; NJW 1969, 1770). Eine friedliche und rein passive Sitzblockade als Gewalttätigkeit? Ein Gedanke, der sich in seiner Formulierung selbst widerlegt. Die Versammlungsfreiheit schützt nicht zuletzt die physische Präsenz und das Bestreben der Teilnehmer_innen den Versammlungsort auch physisch in Beschlag zu nehmen. Jede andere Argumentation würde den oben festgestellten Schutz von Sitzblockaden durch Art. 8 Abs. 1 GG unterlaufen.
Damit sind zugleich die Anforderungen an die „grobe Störung“ hochgesetzt: Grob ist eine Störung erst dann, wenn der ordnungsgemäße Verlauf der Versammlung so schwer beeinträchtigt wird, dass ihre Unterbrechung, Aufhebung oder Auflösung droht (Münchener Kommentar zum StGB/Altenhain/Tölle, 2. Aufl. 2013, § 21 VersG Rn. 20). Dass es Störungen unterhalb der Schwelle des § 21 VersG geben kann, bestätigt zudem § 29 Abs. 1 Nr. 4 VersG, der solche Fälle als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. Die Durchführung des Piusaufmarschs hätte durch die Sitzblockade also nicht bloß erschwert, sondern insgesamt ungewiss werden müssen. Die Gefahr, dass der Aufzug durch die Blockadeaktion abgebrochen werden muss, bestand hier zu keinem Zeitpunkt. Die Sitzblockade stellte damit keine „grobe Störung“ dar.
Eine Strafbarkeit aufgrund der Teilnahme an Sitzblockaden nach § 21 VersG kommt somit nicht in Betracht.
Der akj sieht in der Anklage der Staatsanwaltschaft Freiburg daher eine bewusste Kriminalisierung von antifaschistischen Aktivist_innen. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist als Versuch zu werten, zukünftige Proteste gegen rechte Aufmärsche in Freiburg zu unterbinden.