Die Entscheidung der politisch engagierten Freiburger Anwältin Tina Gröbmayr, bei der Strafverteidigung des wegen versuchten Totschlags an mehreren AntifaschistInnen angeklagten Neonazis Florian Stech mitzuarbeiten, hat eine intensive öffentliche Debatte ausgelöst. Nicht zuletzt weil Tina in unserer Gruppe aktiv ist, sieht sich der Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen (akj) Freiburg zu einer Stellungnahme veranlasst.
Wir sind ein offener Zusammenschluss von aktuellen und ehemaligen Jurastudierenden. Uns verbindet der Wille, politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Wir fühlen uns humanistischen Idealen verpflichtet und sehen in dem pluralistischen Meinungsspektrum innerhalb des akj Freiburg einen Teil unseres Selbstverständnisses.
Die Frage, ob, wann, wie und aus welchen Gründen die Verteidigung eines Neonazis übernommen werden kann, wird daher auch im akj Freiburg kontrovers diskutiert.
Keine Diskussion, sondern große Einigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Grundsätze, nach denen eine solche Entscheidung zu bewerten ist.
Der akj Freiburg bekennt sich ausdrücklich zur aktiven Ablehnung faschistischen Denkens und Handelns. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Recht eines jeden Menschen auf ein faires Verfahren und eine bestmögliche Verteidigung. Hierin sehen wir keinen unüberwindbaren Widerspruch, sondern ein im Einzelfall aufzulösendes Spannungsfeld.
Strafverteidigung reduziert sich für uns nicht auf die Realisierung eines staatlichen Verfahrens, sondern legitimiert sich auch über eine grundsätzliche Kritik am existierenden Strafsystem bzw. an bestimmten Ausprägungen. Wir halten es für äußerst zweifelhaft, ob von dieser Kritik dann abgewichen werden kann, wenn es sich bei der angeklagten Person um einen Neonazi handelt. Vielmehr denken wir, dass jeder Mensch allein aufgrund seines Menschseins Anspruch auf Schutz gegenüber unberechtigten staatlichen Eingriffen hat.
Staatliche Sanktionen dürfen sich nicht auf Menschen und ihre Weltanschauung beziehen, sondern allenfalls auf konkretes Verhalten und dessen sozialen Kontext. Obwohl diese politische Errungenschaft in der Praxis durchaus häufig missachtet wird, darf sie nicht leichtfertig dafür geopfert werden, eine menschenverachtende Ideologie mit individueller Strafe zu bekämpfen.
Strafverteidigung ist bereits in diesem Sinne notwendig eine politische Handlung, da die in ihr zum Ausdruck kommende Haltung gegenüber dem geltenden Strafrecht und der Achtung des Individuums über den Prozess hinauswirkt. Aber auch darüber hinaus kann kein Strafrechtsprozess – und schon gar nicht der gegen Florian Stech geführte – auf rechtliche Aspekte reduziert werden. Wer sich zu einer solchen Strafverteidigung entschließt, kann und darf daher die politische Bedeutung seines Handelns bei seiner Entscheidung und seiner Verteidigung nicht unberücksichtigt lassen.
Und trotzdem lassen sich unserer Meinung nach diese Aspekte nicht generalisierend und verallgemeinert gegeneinander ausspielen. Die Entscheidung, die Verteidigung eines Menschen auch hinsichtlich faschistischer Taten zu unterstützen, ist notwendig eine kontroverse politische Entscheidung, die sich einer kritischen Bewertung der Motive und Gründe nicht entziehen kann. Es gibt unserer Meinung nach aber durchaus nachvollziehbare Gründe sowohl für die Ablehnung als auch für die Übernahme der Verteidigung eines Neofaschisten. Wie dann aber eine so getroffene Entscheidung ausfällt, ist letztendlich eine persönliche Frage und für uns zumindest nicht per se verwerflich.
Es ist Teil unserer Überzeugung, dass über eine Meinung oder ein Verhalten, das den eigenen Ansichten widerspricht, diskutiert werden kann. Eine darüber hinausgehende Reaktion halten wir jedoch erst dann für berechtigt, wenn die Meinung oder das Verhalten unsere gemeinsamen Grundüberzeugungen verletzt.
Es bestehen für uns aber keine Zweifel an Tinas antifaschistischer Überzeugung. Ihre Entscheidung, sich an der Verteidigung von Florian Stech zu beteiligen, hat sie in reflektierter und kritischer Abwägung der in der öffentlichen Diskussion genannten Aspekte getroffen und erläutert.
Nach diesem Maßstab besteht für uns überhaupt kein Grund, uns von Tina zu distanzieren, und keine Berechtigung, sie für ihre Entscheidung als Person zu verurteilen. Der akj Freiburg wird deshalb auch für die Zusammenarbeit mit Tina keine Konsequenzen ziehen.
Mit Befremden haben wir dagegen diejenigen Beiträge zur öffentlichen Diskussion zur Kenntnis genommen, die Tina einen unreflektierten Umgang mit der Situation unterstellen oder sie gar persönlich diffamieren.
Uns ist bewusst, dass unsere Haltung zu dem Thema nicht außer Kritik stehen wird. Wir sind bereit, uns dieser Kritik zu stellen und über die Sache mit allen zu diskutieren, denen an einem Meinungsaustausch gelegen ist.
akj Freiburg, 28.06.2012