Prozessbericht des Arbeitskreises Antirepression und des akj Freiburg
Am 12.10.2016 fand vor dem Amtsgericht Freiburg ein Prozess gegen einen Aktivisten statt, der sich im Jahr 2015 an Protesten gegen den jährlichen Aufmarsch der Piusbrüder beteiligt hatte. Vorgeworfen wurden dem Angeklagten lediglich die Beteiligung an einer Sitzblockade, was laut Staatsanwaltschaft als „Stören von Versammlungen“ (§ 21 VersG) strafbar sein soll. Laut Anklage sollte die Durchführung des reaktionären Aufmarsch durch eine „dauerhafte Blockade“ unmöglich gemacht werden. Dies sei als „grobe Störung“ zu werten und somit strafbar.
Überschattet wurde der Prozessbeginn von massiven Kontrollmaßnahmen, die die ca. 40 solidarischen Prozessbeobachter_innen über sich ergehen lassen mussten. Jede Person wurde einzeln durchsucht, mit einem Metalldetektor abgetastet und musste ihr Handy abgeben.
Zu Beginn wurde durch den Rechtsanwalt des Betroffenen eine Erklärung verlesen, in der die Beteiligung an der Sitzblockade eingeräumt und begründet wurde. Die vollständige Erklärung findet sich im Anhang.
Richterin Jule Lempfert äußerste Verständnis für die Motive des Angeklagten und betonte mehrfach, dass es sich bei diesem Verfahren keinesfalls um einen politischen Prozess, sondern ausschließlich um eine juristische Würdigung der Geschehnisse handele. Ebenso sei keineswegs klar, wie das Verfahren ausgehen würde. Sowohl eine Verurteilung als auch ein Freispruch schienen ihr je nach Verlauf der Beweisaufnahme möglich.
Als erster Zeuge war Bernhard Kurz vom Freiburger Staatsschutz geladen. Er war am Tag des Geschehens zur Aufklärung eingesetzt, im Nachhinein organisierte er in enger Absprache mit der Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung. Seinen Schilderungen nach konnte der Aufzug der Piusbrüder, der aus ca. 130 Personen bestand, aufgrund einer Sitzblockade von ca. 70 Personen kurz nach dem Martinstor nicht weitergeführt werden. Die Ansprache durch Anti-Konflikt-Teams der Polizei hätte nur wenige Aktivist_innen dazu bewegt, die Fahrbahn zu verlassen, weshalb diese durch Polizeikräfte geräumt wurde. Der Verlauf dieser Räumung wurde im anschließend vorgeführten Video deutlich. So waren Polizist_innen zu sehen, die mit gestrecktem Bein auf sitzende Menschen eintraten und durch ihr Vorgehen eine Vielzahl von Verletzungen unter den Blockierer_innen verursachten. Besonderes Interesse galt der Frage, ob die Gehwege links und rechts der Blockade frei und für Passant_innen zu begehen waren. Dies wurde sowohl von Kurz bejaht, als auch im Video deutlich. Weitere Fragen zielten auf die Lautstärke der Gegendemonstrant_innen und den Einsatz einer Sirene.
Zweiter Zeuge war Harry Hochuli, Direktor des Polizeireviers Nord und Einsatzleiter am Tag des Geschehens. Er berichtete vom engen Kontakt, den er während der gesamten Demonstration der Piusbrüder mit deren Versammlungsleiter Pater Peter Lang gehabt habe. Den ca. 130 Piusbrüdern stand eine für ihn unklare Menge an Gegendemonstrant_innen in verschiedenen Gruppen gegenüber. Auch sei es ihm schwer gefallen „normale“ Passant_innen und Gegendemonstrant_innen zu unterscheiden, da ja nicht nur die polizeibekannte Szene, sondern eine große Vielzahl von Freiburger Gruppen ein Problem mit den Inhalten der Piusbrüder haben.
Die Sitzblockade bezifferte er auf 70 – 100 Personen, dahinter stand noch eine weitere Menge an Personen, bei denen ihm nicht klar war, ob es sich um Schaulustige oder auch um Gegendemonstrant_innen handelte. Besonders bemängelt wurde von ihm, dass sich keine Person als Ansprechpartner_in zu erkennen gab und somit keine Absprachen zwischen der Polizei und den Gegendemonstrant_innen möglich waren.
Eine Umleitung der Demonstration der Piusbrüder über andere Straßen sei nicht möglich gewesen, da dies dem Versammlungsrecht widerspreche und die KaJo einen hohen symbolischen Wert für die Demonstration habe. Da auf Ansprache durch Anti-Konflikt-Teams und den Lautsprecherwagen der Polizei nicht reagiert wurde, wurde beschlossen, die Blockade zu räumen. Hierbei wurde nur eine Straßenseite geräumt, die Aktivist_innen auf der anderen Straßenseite wurden an den Rand gedrängt und dort eingekesselt. Auch Hochuli bestätigte auf Nachfrage der Richterin, dass der Durchgang für Passant_innen links und rechts von der Blockade problemlos möglich war. Für die Demonstration der Piusbrüder wären diese Durchgänge jedoch keine Option gewesen, da hierfür zu wenig Platz gewesen sei. So sei eine einschließende Begleitung zum Schutz vor Angriffen der Gegendemonstrant_innen nicht möglich gewesen, zudem sei durch die Lautstärke beider Versammlungen die Kommunikation der Polizeikräfte massiv gestört gewesen. Als „Experte für Menschenansammlungen“ befürchtete er zudem eine mögliche Panik, sollten die Piusbrüder, unter ihnen auch viele alte Menschen und Kinder, durch den engen Durchgang neben der Blockade geleitet werden. Auch hielt er es nicht für nötig, mit Versammlungsleiter Lang überhaupt über eine mögliche Alternativroute zu sprechen.
Auf Nachfrage durch den Verteidiger bestätigte Hochuli, dass ihm durchaus bewusst war, dass auch die Gegendemonstration unter dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit steht, in seinen Augen allerdings nur, bis klar war, dass die Blockade nicht mit der Polizei kommunizierte und keine Anstalten machte, sich aufzulösen. Hierauf wurde durch den Verteidiger erwidert, dass eine unterbleibende Kommunikation mit den Polizeikräften keinesfalls dazu führe, dass die Versammlung nicht mehr vom Grundgesetz geschützt sei. Auch eine Blockade stelle eine vom Grundgesetz geschützte Versammlung dar und sei auf derselben Ebene anzusiedeln wie die Demonstration der Piusbrüder. Hochuli betonte noch einmal, dass Sinn und Zweck der Blockade die Störung der Aufmarschs der Piusbrüder gewesen sei und nicht etwa die Kundgabe einer politischen Meinung.
Anschließend folgte das Plädoyer von Staatsanwalt Dr. Schilling. Alles habe sich so zugetragen wie in der Anklage beschrieben, die geladenen Zeugen hätten deutlich gemacht, dass es nicht möglich gewesen sei, die Demonstration an der Blockade vorbei zu leiten. Somit sei definitiv eine „grobe Störung“ des Aufmarsches der Piusbrüder gegeben, da dieser nicht nur zeitlich sondern auch akustisch massiv beeinträchtigt wurde. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen.
Rechtsanwalt Moos stellte in seinem Plädoyer klar, dass es sich bei der Sitzblockade selbstverständlich um eine Form der Demonstration handele, mit der öffentlichkeitswirksam auf den gefährlichen Aufmarsch der Piusbrüder aufmerksam gemacht werden solle. Dabei zitierte er Staatsschützer Kurz, der die Piusbrüder in einem Aktenvermerk selbst unter anderem als „faschistisch“ bezeichnete. Zudem stellte er klar, dass keineswegs komplett vom Inhalt der jeweiligen Demonstrationen abstrahiert werden kann, sondern die Gründe der Demonstrationen selbstverständlich in die Beurteilung einzufließen haben.
Die Blockade als Gegendemonstration stehe selbst unter dem Schutz des Grundgesetz. Dieser ende auch nicht, wenn die Blockade entgegen der Forderungen der Polizei nicht aufgelöst wird. Eine „grobe Störung“ der Demonstration der Piusbrüder sei keineswegs gegeben, da diese grobe Störung im Lichte der Versammlungsfreiheit auszulegen sei. Des Weiteren wurde ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Blockade einer Kaserne angeführt, in welchem eine Nötigungsstrafbarkeit (§ 240 StGB) aufgrund der Sitzblockade abgelehnt wurde. Im Bezug auf § 21 VersG gibt es hierzu noch keine verfassungsgerichtliche Rechtsprechung. Abstrahiere man den Tenor der Entscheidung, so Moos, könne jedoch auch eine solche Sitzblockade gegen den Aufmarsch der Piusbrüder nicht strafbar sein. Zudem gab es eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, die Demonstration an der Blockade vorbei auf ihre vorgesehene Route zu führen.
Bei verfassungskonformerkonformer Auslegung des § 21 VersG im Lichte der Versammlungsfreiheit liege in diesem Fall keine grobe Störung der Versammlung der Piusbrüder vor, daher sei der Angeklagte freizusprechen.
Richterin Jule Lempfert kam zu einem anderen Schluss und verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen. Dabei betonte sie zunächst, dass es „grober Unfug“ sei, das Verfahren als politischen Prozess zu bezeichnen und eine neue Linie der Freiburger Repressionsbehörden erkennen zu wollen. Sie habe auf einer rein juristischen Grundlage die Grenzen der demokratischen Auseinandersetzung abzustecken. Selbstverständlich stünden beide Versammlungen unter dem Schutz des Grundgesetzes. Sie habe nicht über den Inhalt der jeweiligen Versammlungen, sondern nur über die Strafbarkeit einer konkreten Sitzblockade in einem konkreten Fall zu entscheiden. Allgemeine Festlegungen zur Strafbarkeit von Sitzblockaden seien in ihren Augen nicht möglich. Auch wenn die Gehwege neben der Blockade nachweislich frei waren, konnten die Zeugen für sie glaubhaft darlegen, dass es unter anderem aus Gründen der Gefahrenabwehr nicht möglich war, die Demonstration der Piusbrüder dort entlang zu leiten. Die Polizei habe die Aufgabe, beide Demonstrationen zu trennen und benötige dafür einen gewissen Platz. Eine Umleitung über eine andere Straße sei nicht möglich, da eine angemeldete Demonstration auf der Route stattzufinden habe, auf der der Versammlungsleiter dies möchte. Sie habe Verständnis für symbolträchtige Protestformen, in diesem Fall ginge es allerdings zu weit. In der Gesamtschau siedelte sie die Vorfälle am untersten Ende der Strafbarkeit an. Daher erfolgte die Verurteilung zu 10 Tagessätzen.